Tag 1 (Prolog) Ceci n’est pas de l’art*

By in Allgemein on 28. Juli 2014
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*Dies ist keine Kunst

Die Figur des Künstlers als destruktive Kraft hatte u.a. unter Einfluss der Punk- und Hausbesetzerbewegung in den 1970er und 1980er Jahren Konjunktur. Er galt als Sprachrohr einer Generation, die sich gegen die etablierte Politik, die bürgerliche Moral und die herrschende Kultur auflehnte.

Diese Form der Revolte wurde inzwischen institutionalisiert: Stiftungen zur Kunstförderung sind seit den 1990er Jahren Teil des Wirtschaftssystems, vormals alternative Orte zum wichtigen Teil des etablierten Kultursystems geworden.

Das Bedürfnis der Bevölkerung, gemeinsam auf die Barrikaden zu gehen, hat im Allgemeinen abgenommen. Das Ansehen subversiver Kunst ist in der Gesellschaft gefallen; dagegen gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach Schönheit, Konzeptkunst und Unterhaltung.

 


 

Gegenüber der Vitrine von „Ceci n´est pas…“, die wie ein fremdartiger metallener Monolith auf der Mitte der Shoppingmeile in die Höhe ragt und mit unerklärlich magischer Präsenz bereits vor der Performance die ersten neugierigen Passanten anlockt, bauen einige Promoter vom „Kinderhilfswerk“ hastig ihren Infostand auf.

Sie fordern die Hamburger nun in freundlichem Serviceton auf, „für eine gute Sache zu spenden“, während diese meist entnervt weitertrotten oder gleich in gewohntem Ausweichmanöver einen riesigen Bogen um sie machen.

Auf Nachfrage bekunden die Promoter scherzhaft ihre Angst, dass die Kunstperformance ihnen die Show stellen könnte. Auf meine Bedenken, dass es traurig sei, dass mittlerweile für gute Anliegen die Strategien von Werbeleuten verwendet würden, kontern sie resigniert aber bestimmt, dass sie das verstehen könnten, es aber umgekehrt eher traurig sei, „dass die Gesellschaft heute so egoistisch geworden ist, dass man zu solchen Mitteln greifen muss!“

Währenddessen fahren um 15 Uhr zum ersten Mal die Rolläden der „Ceci n´est pas…“-Vitrine hoch. Klassische Musik dringt daraus hervor, unmissverständlich deutliche Signale von: Hochkultur. Zu den dröhnenden Erhabenheitsklängen beginnt der Performer in militärischer, marineblauer Uniform und aufrechter, konzentrierter Haltung, erst kontrolliert und regelmäßig, dann immer wilder und enthemmter, irgendwann auf dem Boden kauernd, mit einem Hammer in jeder Hand, brutal auf sein argloses Musikinstrument einzuschlagen. Bis nur noch Fetzen fliegen, die Rolläden runterfahren und der erschöpfte Trommler wieder in seiner Höhle verschwindet. Das Ritual wiederholt sich nun alle 20 Minuten von neuem.

Der Platz auf der Spitaler Straße füllt sich unaufhörlich. Der Performer zieht immer zahlreichere Blicke auf sich: verdutzte, interessierte, geschockte, hasserfüllte. Das ganze scheint einem seltenen Naturschauspiel zu gleichen und einigen der Zuschauer einen seltenen entrückten Glanz in ihren Blick zu zaubern. Die verschiedensten Menschen, die eigentlich gerade dabei waren, ihre täglichen Besorgungen zu machen, bleiben wie angewurzelt an der Vitrine stehen und schauen dem Trommler gebannt bei seiner Vernichtungskunst zu: Familien mit Kindern, Businessleute, Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, alle scheinen sie magnetisch von der Performance angezogen zu werden…

Zwei Männer um die vierzig, wahrscheinlich Brüder, die gerade schon aus Ratlosigkeit dabei waren weiterzuziehen, frage ich, warum sie schon gehen würden: „Das ganze macht einfach keinen Sinn! Da schlägt jemand auf eine Trommel ein und macht sie kaputt. Das ist alles! Nur Zerstörung. Er könnte ja auch stattdessen etwas Sinnvolles tun, oder? Etwas aufbauen zum Beispiel.“ Auf die Frage, was er denn mit dem Zerschlagen der Trommel assoziieren würde, antwortet er: „Na ja, Zerstörung… Der Kreislauf von Zerstörung und Wiedergeburt vielleicht… Außerdem erinnert mich seine Uniform an diese englischen Wächter, weißt du? Die mit den roten Uniformen und den Pelzmützen, die keine Miene verziehen… Vielleicht steht das ganze auch dafür, dass Großbritannien und Amerika die ganze Welt erobern und kaputtmachen!“

Hinter ihm baut sich plötzlich eine ältere Frau mit roten Haaren auf und brüllt laut und hysterisch „THIS IS NOT ART!“ in die Zuschauermenge.

Wenig später meldet sich ein bekennender Musiker entrüstet zu Wort, der es schlimm findet, dass bei der Performance so viele Trommeln kaputtgemacht werden: „Ich verstehe zwar, dass das Kunst sein soll. Ich kapier die Aussage. Aber ich bin Musiker, und ich kenne eine ganze Menge Musikerfreunde, die jetzt heulen würden, wenn sie das sehen könnten!“

Die Menschentraube um den Trommler wird von Minute zu Minute voller. Auch zwei Punks mischen sich darunter und schießen grinsend Bilder von der Performance mit ihrem Smartphone, parallel betteln sie andere Zuschauer um Kleingeld für ihren zerknickten 0,5-Liter-Cola-Becher an. „Könnt ihr was damit anfangen?“ – „Ja schon. Ich find die ganze Sache schon ziemlich gut. Macht kaputt, was euch kaputt macht… Aber das reicht eben nicht für die Revolution!“ – „Was bräuchte es denn eurer Meinung nach, damit die Welt sich zum Guten wandeln kann?“ – „Etwas Größeres! Keine starren Regeln! Jeder macht, wozu er Lust hat, außer er schadet damit Anderen! Keine Politik mehr, kein Staat, keine Gesetze. Jeder achtet darauf, dass er nur das tut, was er will und dass er dabei niemandem Leid zufügt. Das wäre meine Vision!“ – „Versteht ihr euch als Anarchisten?“ – „Hat alles nix gebracht. Kapitalismus. Kommunismus. Anarchismus. Wir sind nichts davon. Wir wünschen uns einfach eine Welt mit Menschen, die achtsamer miteinander umgehen und in der jeder machen kann, was er möchte. Nicht in einem egoistischen Sinne. Aber guck dich um! Dahin ist noch ein langer Weg, bis wir wirklich machen, was wir eigentlich wollen und brauchen…Wirfst du uns dafür nochn bisschen Geld hier rein für ‚nen Schnaps?“

Einige Zeit später… Der Performer schlägt gerade immer heftiger auf seine Trommel ein. Federn springen in alle Richtungen weg, gegen die Scheibe, Holzstücke fliegen in hohem Bogen durch die Vitrine, ein Hammer zerbricht. Er kommt langsam ins Schwitzen. Es ist bereits die elfte Trommel, die er gerade zerdrischt. Eine Frau, deren Abscheu gegen die Performance überdeutlich anzusehen ist, frage ich: „Finden Sie das schlimm, was da passiert?“ – „Ja, extrem!“ – „Warum?“ – „Das sage ich Ihnen besser nicht! Ich muss jetzt dringend weiter – hab noch was Sinnvolles zu tun!“

Nebenan, auf einer Bank, stecken ein paar Jugendliche, wild diskutierend, ihre Köpfe zusammen, um gemeinsam den Zweck der Performance zu ergründen: „Ich verstehe halt die Message nicht.“ – „Doch, ich schon. Ich kann mir schon so`n Gesellschaftsthema zusammenreimen: Globalisiserung, die Zerstörung der Welt.. Aber Sinn macht das alles trotzdem nicht für mich. Da muss man schon Kunstgeschichte studiert haben für!“

Während der Performer den letzten Trommel-Nachschub bekommt, raunt mir eine der Kinderhilfswerk-Promoterinnen noch im Vorbeigehen vielsagend grinsend zu: „Schon wieder geht so eine arme Trommel kaputt… Das hätte man auch alles spenden können!“

 


 

Hier erscheint jeweils am Tag nach der Performance Text-, Foto- und Videomaterial zu dem Projekt
CECI N’EST PAS…
10 Ausnahmen von der Regel

One thought on “Tag 1 (Prolog) Ceci n’est pas de l’art*

  1. Tania Klasing
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    Spannend alleine die Reaktionen, Kommentare auf die Aktion- die Menschen bleiben in der sonst so hektischen, anonymen City für eine Weile stehen und verweilen für einen Augenblick.
    Man macht sich Gedanken und kommt vielleicht sogar ins Gespräch-das kann etwas in Bewegung bringen…