Tag 6 Ceci n’est pas la nature*

By in Allgemein on 28. Juli 2014
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*Dies ist nicht die Natur

Eine der ersten Feststellungen, die bei der Begegnung mit einer unbekannten Person getroffen wird, ist diejenige, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Funktioniert dieser Erkennungsmechanismus nicht, reagiert man verwirrt, nervös oder erregt.
In Indien wurde dieses Jahr das dritte Geschlecht durch den Obersten Gerichtshof anerkannt; in Deutschland kann man seit November letzten Jahres das entsprechende Feld in der Geburtsurkunde frei lassen. In den letzten Jahren stieg dennoch, vor allem von religiöser Seite aus, das Unverständnis gegenüber Menschen mit abweichender Geschlechtsidentität. Es ist für Transmenschen nicht leicht eine Arbeit zu finden, es sei denn in der Entertainment-Branche.

 

 

EINE STADT WIRD ZUM AUTOR IHRER SELBST

 

(07. bis 16.08.2014, jeweils 15-20 Uhr)

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel 2014

 

#cecinestpashamburg
www.cecinestpas.de
www.driesverhoeven.com
www.kampnagel.de/sommerfestival2014

 

Liebes Publikum des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel, liebe Passanten, liebe Zuschauer auf der Spitaler Straße, liebe Hamburger und Hamburgerinnen,
am 07.08 zwischen 15 und 20 Uhr begann die provokative Performance-Installation und Menschenausstellung gesellschaftlicher Tabu-Themen „Ceci n´est pas…“ von Dries Verhoeven in Hamburg auf der Spitaler Straße, die seitdem unzählig viele Hamburger polarisierte und die Gemüter erhitzte.

 

„Ceci ´nest pas l´art“ – Ein Mann in Uniform schlägt stundenlang mit zwei Hämmern auf eine Trommel ein, bis diese in unzählige Fetzen zerspringt.

Das Hamburger Publikum reagierte amüsiert bis verstört auf die Vernichtung eines so kostbaren Musikinstruments in aller Öffentlichkeit. – Warum das alles!? Ist das noch Kunst?

Am zweiten Tag – „Ceci n´est pas une mère“ – lies eine „schwangere“ Teenagerin zu Lykkee Lis „I follow“ ihren kugelrunden Bauch kreisen und sich dabei von Passanten mit offensichtlich exhibitionistischem Genuss beobachten.

Warum holt die da keiner raus?, fragten einige. Ist das Jugendamt schon informiert? Oder die Polizei? Wirklichkeit und Kunst waren kaum noch zu unterscheiden.

Am dritten Tag dann – „Ceci n´est pas l´amour“ – war das Hamburger Straßenpublikum schockiert von einem Mann, der – halbnackt – seiner neunjährigen Tochter – ebenso fast nackt – aus Grimms Märchen vorlas. In aller Seelenruhe.

Eigentlich ein harmonisches, ein fast paradiesisch anmutendes Bild. Und: es war wirklich ihr Vater. Aber: hat der keinen Anstand, seine Tochter in aller Öffentlichkeit so zur Schau zu stellen? Und was ist mit den Pädophilen, die von ihr Bilder machen könnten für ihr abendliches, privates „Vergnügen“?

„Ceci n´est pas la futur“ zeigte dann das erschreckende Bild eines Kindersoldaten, der in der Vitrine auf einem Berg aus Munition seine Waffe putzt und mit so gar nicht mehr kindlich unschuldigem Blick seine Zuschauer eindringlich fixierte.

Hochaktuell: während die Performance läuft, demonstrieren parallel auf der Mönckebergstraße unzählige Menschen aufgeregt und erhitzt gegen den Bürgerkrieg und das Unrechtsregime in Syrien und die Terrorangriffe der IS im Irak. Auch dort werden Kindersoldaten mit Zuckerwatte angelockt und für blutrünstige Kriegsmanöver missbraucht. KINDER!

Der fünfte Tag der Performance-Reihe – „Ceci n´est pas de l´histoire“ – war sicherlich, was die Heftigkeit der Reaktionen, vor allem von Schwarzen selbst, angeht, die bisher denkwürdigste und polarisierendste Performance. Ein schwarzer Performer vollführt vor den Blicken der ratlosen bis amüsierten Passanten kolonialistische Akrobatik-Kunststücke. Es ist alles dabei: von Begeisterung für dessen Beweglichkeit und sein akrobatisches Talent bis hin zu einem Schwarzen, der ihn durch die Scheibe hinweg angreift und ihm unter Tränen vorwirft, das Bild zu reproduzieren, das ihn tagtäglich schmerzhaft begleitet, kann man so gut wie jede nur denkbare Reaktion bei den Passanten beobachten. Das Bild fesselt sie. Vergangen, und doch so heutig wie noch nie. Oder?

Auch heute geht sie auf, die Entertainment-Rechnung einer Freakshow und Menschenaustellung. Die Passanten schauen auf den Performer nicht anders als die deutschen Kolonialherren am Beginn des 20. Jahrhundert. Oder stimmt das gar nicht? Hat sich doch etwas geändert im Jahr 2014?

Gestern dann: „Ceci n´est pas la natur“. Ein zum farbenfrohen, geschlechtslosen Paradieswesen umkostümierter Mann schaukelt in der Vitrine entspannt hin und her, dreht sich ab und an in aller Ruhe eine Zigarette und wird dabei kurz zum, ja, vielleicht Mann? Man weiß es nicht.

Eine ausgeklügelte Freak- und Travestie-Show. Aber die Menschen lieben das offensichtlich, die meisten, noch immer. Es sei denn, man weiß selbst nicht so genau, welchem Geschlecht man angehört. Vor allem jugendliche Männer und ältere Kinder der Nachkriegsgeneration reagieren empfindlich auf einen Mann, der sich nicht den gängigen Codes von Männlichkeit beugt. Sicher verständlich. Ist es, weil sie sich „normal“ fühlen wollen, akzeptiert? In einer patriarchalen Gesellschaft, die uns unaufhörlich aggressive Männlichkeit diktiert? Sicher ist nichts. Aber ihr wisst es besser!

 

Wie ging es Euch, Ihr, die Ihr die Performances in Hamburg gesehen oder davon gehört habt? Was denkt ihr über die Performances der nächsten Tage?

Wir wollen gern Eure Meinung dazu hören!

Was lösen ein Trommelzerstörer, eine schwangere Teenagerin, ein fürsorglicher, liebevoller und sexuell unverkrampfter Vater, ein vom Leben ernüchterter Kindersoldat, ein Schwarzer in Ketten, der selbstbewusst mit dem Thema der Unterdrückung spielt, ein geschlechtsloses Wesen – was löst das alles in Euch aus?

 

Ich möchte ab heute gern Eure Twitter- und Live-Kommentare unter #cecinestpashamburg und dann auf www.cecinestpas.de sammeln und festhalten.

Und: Scheut Euch nicht – jeder Kommentar ist willkommen! Ob Kritik, Begeisterung, Wut, Bewunderung, Irritation, Entrüstung – die Bandbreite aller Reaktionen auf die Performance ist erwünscht und wertvoll, um zu erfahren, wie die Stadt Hamburg auf solch eine Aktion im öffentlichen Raum reagiert. Ändert sich Eure Meinung zu bestimmten Themen, die in den Performances behandelt werden? Oder haltet Ihr das Projekt für überflüssig? Findet Ihr andere Themen in Hamburg und der Welt aktuell wichtiger als die von „Ceci n´est pas…“?

 

Die Twitterwall ist eröffnet! Werdet zu Autoren und Chronisten Eurer Stadt und den Themen, die Euch momentan bewegen!

#cecinestpashamburg und später online auf www.cecinestpas.de !

 

Ich bin gespannt auf Eure Kommentare !!!

 

Beste Grüße,

Jannis Klasing
(Blog-Redaktion www.cecinestpas.de)

 

 

 

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