Tag 5 Ceci n’est pas de l’histoire*

By in Allgemein on 28. Juli 2014
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* Dies ist nicht die Geschichte

Zwischen 1904 und 1908 wurden in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 60.000 Herero und Nama von deutschen Schutztruppen getötet. 2012 hat der Bundestag den Vorschlag abgelehnt, diese Handlungen als Genozid zu bezeichnen.

Das Schuldgefühl über das Verhalten früherer Generationen hat bei der deutschen Bevölkerung einen Sättigungsgrad erreicht: Bedauerliche Aktivitäten in einer ehemaligen Kolonie scheinen in Konkurrenz zu der Scham über die Geschehnisse auf dem europäischen Kontinent zu stehen. Um Protesten von schwarzen Deutschen entgegen zu kommen, wurde vor einigen Jahren allerdings das Wort „Negerkuss“ abgeschafft.

 

Wenn die Welt durch dich hindurchrauscht und dich zerfetzt

 

Robin Williams ist tot. Was das mit der deutschen Kolonialgeschichte, Genozid, Sklaverei, 600 Jahren Unterdrückung von Schwarzen zu tun hat, ich weiß es nicht. Aber es macht mich dennoch traurig. Natürlich kannte ich ihn nicht persönlich. Ich kannte ihn bloß als Schauspieler: Peter Pan. Der Club der toten Dichter. König der Fischer. Good Will Hunting… Filme und Rollen, die mich als Kind und Jugendlichen sehr geprägt haben. Ich bin darauf nicht stolz, keineswegs. Aber ich bin dankbar dafür, dass Robin Williams auf diesem Planeten gelebt hat und ununterbrochen die Rollen um sein Leben gespielt hat, die nun nur noch in seinen Filmen überdauern werden. Und in unseren Köpfen und Herzen. Ich bin mir ganz sicher: es geht ihm gut jetzt. Besser. Auch wenn er ein hervorragender Entertainer war: er scheint oft sehr, sehr traurig und einsam gewesen zu sein. Laugh in Peace, Robin Williams. Jetzt aber zum Thema!

„Ceci ne pas de l`histoire“. Dies ist nicht die Geschichte. Nicht? Doch, sie ist es! Die Geschichte von Jahrhunderten der Unterdrückung von Schwarzen, aber auch: von Frauen, Juden, Asiaten, Homosexuellen, Kindern, jeweils Andersgläubigen, Andersdenkenden und -Fühlenden. Die Zeiten haben sich geändert, ja: Wir schreiben das 21. Jahrhundert. Doch was als hoffnungsvolles Jahrhundert der Science Fiction und als furioses Heilsversprechen begann, wendete sich am 11. September 2001. Seitdem, und natürlich schon zuvor, hat das neue Jahrhundert längst noch nicht gehalten, was es versprach. Krieg, Hass, Vorurteile, Gewalt, Unterdrückung, Sexismus, Ungerechtigkeiten allerorten. Nichts davon hat die Menschheit tatsächlich überwunden. Und auch wenn global überall die blutigsten und unsinnigsten Kriege toben und die „friedlichen“ Länder diese weiterhin eifrig mit Waffen beliefern: es besteht Hoffnung! Hoffnung, weil die Menschen klüger werden, mehr Informationen für alle bereitstehen, zu erkennen, was alles falsch läuft auf der Welt, wer aus welchen Interessen anderen Schaden zufügt. Es gibt sie, die zahlreichen Menschen, die wissen, wie das globale Spiel funktioniert. Und die die Spielregeln ändern wollen.

Einige dieser Menschen konnte man gestern, am 11. August 2014, auf der Spitaler Straße in Hamburg erleben. Als in einer gläsernen Vitrine zwischen 15 und 20 Uhr ein Schwarzer in Ketten zu dem Kinderlied „10 kleine Negerlein“ kolonialistische Akrobatik-Kunststücke vollführte. Sicherlich: das Spektakelhafte daran, die voyeuristischen Reaktionen, die sie auslösten, waren die selben wie immer schon. Und doch: Schwarze, Weiße, Asiaten – alle kamen sie gemeinsam ins Gespräch darüber, was es heißt, tagtäglich mit den Projektionen, Rassismen und den allgemeinen Vorurteilen der Gesellschaft konfrontiert zu sein. Wenn dann ein Schwarzer den Performer wüst beschimpft und ihm entrüstet mitteilt, dass er sich für ihn schäme, dass er nie wieder einen Schwarzen in Ketten sehen wolle, dass er endlich, endlich frei sei und schließlich mit Tränen in den Augen den Platz verlässt – dann begreift man, im radikalsten Sinne, was es heißt, hier und heute als Schwarzer auf der Welt leben zu müssen. Immer noch. Daran ändert bislang auch ein schwarzer amerikanischer Präsident nichts dran. Nichts.

Was mir diese intensiven fünf Stunden der Performance „Ceci n´est pas de l’ histoire“ wie mit der Faust ins Gesicht vor Augen geführt haben, ist, dass die einzige Lösung für die Konflikte in der Welt, so einfach und so simpel und abgedroschen es klingen mag: dass die Formel für die Überwindung allen Leids in uns selbst liegt. Dass die Welt erst dann friedlicher werden kann, wenn wir alle, alle gemeinsam Vorurteile, unsern Hass, jeglichen Argwohn, und auch natürlich Waffen und Munition, in welcher Form auch immer, hinter uns lassen und endlich anfangen, WIRKLICH miteinander zu sprechen und uns auszutauschen. Ehrlich. Offen. Friedlich.

„Ceci n´est pas de l`histoire“ hat mir gezeigt: Wenn wir wirklich Frieden auf der Welt wollen – dann müssen wir auch dafür kämpfen. Mit aller Kraft. Nur: nicht mit Waffen. Sondern: mit unserem Verstand. Unserer Liebe. Unserer Poesie. Unserer Freude am Leben, an den Menschen und an allem Sein. Denn, eins, eins ist ganz sicher: Frieden brauchen wir. Alle. Das wusste schon der große Robin Williams…

 

3 thoughts on “Tag 5 Ceci n’est pas de l’histoire*

  1. 1

    Ein wichtiger und guter Punkt! Ich denke nur: das Projekt braucht den Gütesiegel des SPIEGEL nicht, auch wenn SPIEGEL ONLINE sehr differenziert, interessiert und klug über „Ceci n´est pas…“ berichtet hat… Das Label des „Freaks“ wird definitiv von außen an das Projekt herangetragen. Dries Verhoeven würde keinen seiner Performer jemals als Freak bezeichnen. Er respektiert sie alle aus vollstem Herzen (das weiß ich aus Gesprächen). Und: sie haben sich alle freiwillig für das Projekt entschieden, auch, um selbst für sich ein Statement zu setzen. Wer diese Menschen Freaks nennt, hat die Intention von „Ceci n´est pas…“ schlichweg nicht verstanden. Es geht ja gerade im Kern darum, deutlich zu machen, dass alle Performer, die den Mut haben, sich öffentlich in der Vitrine der Öffentlichkeit zu zeigen, eben gerade keine Freaks sind, sondern ein integraler Bestandteil unserer Gesellschaft (in Zukunft hoffentlich noch mehr als zuvor). Eher die Gesellschaft ist meiner Ansicht nach gefragt, ob sie diese Menschen respektieren will, oder nicht. Das bleibt zu hoffen! Aber dafür kann „Ceci n´est pas…“ nur ein Anstoß sein. Wenn das Projekt die Hamburger Zuschauer dazu inspiriert haben sollte, anders auf diese Menschen zu schauen, zu erkennen, dass sie alle wertvolle Menschen sind, dass die Konstruktion des „Normalen“ eine trügerische Illusion ist, hat „Ceci n´est pas…“ schon alles erreicht, was es erreichen konnte. Kunst kann viel, wie bei Verhoevens Projekt zu beobachten… Aber den Rest muss die Gesellschaft schon selbst in die Hand nehmen…

  2. 2

    Ich möchte mit dem Text den Tod von Robin Williams und 600 Jahre Unterdrückung von Schwarzen keinesfalls gleichsetzen! Der Mensch Robin Williams war für mich nur einfach jemand, von dem, was ich weiß, der sich massiv gegen jede Form von Gewalt, Machtmissbrauch, Unterdrückung und für den Frieden eingesetzt hat. Ihn und seine Lebensleistung wollte ich würdigen, aber vor allem sollte der Text deutlich machen, dass wir endlich Menschen wie ihn ernst nehmen sollten, die sich, wie er, mit solcher Hingabe für den Frieden einsetzen. Die alles dafür geben, dass NIEMAND unterdrückt wird, weder Schwarze, Asiaten, Muslime, oder wer auch immer. Tut mir leid, wenn das missverständlich war in meinem Text. Danke daher für die Rückmeldung!

  3. 3

    PS: Mein Eindruck, beim Lesen von Interviews mit Robin Williams und beim Wiederschauen alter Filme mit ihm, dass er auf eine Weise – trotz seines unbändigen Humors – auch an dem Zustand der Welt zerbrochen ist, was ich sehr gut nachvollziehen kann… Vielleicht war es auch mein Anliegen, am Beispiel Robin Williams aufzuzeigen, dass wir häufig besser genauer hinschauen sollten, wenn es Menschen schlecht geht, wenn sie traurig sind. Denn sicherlich mahnt uns sein tragischer und verstörender Selbstmord auch, dass Menschen mit Depressionen bzw. manischen Depressionen (bipolaren Störungen) oder auch Suchtstörungen in den allermeisten Fällen zu wenig Unterstützung von der Gesellschaft erhalten, bzw. allzu oft als „Freaks“ und „Gestörte“ abgetan werden, die sich nur mal richtig anstrengen sollten.. Wenn jemand leidet, denke ich, geht uns das alle etwas an.. Das war vielleicht auch ein wenig für mich die Parallele (wenn auch, zugegeben, etwas weit hergeholt ;)…