Tag 3 Ceci n’est pas de l’amour*

By in Allgemein on 28. Juli 2014
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*Dies ist keine Liebe

Berührt man nackte Haut, werden Signale an das Kleinhirn gesendet, jene Hirnregion, die für die Steuerung von Gefühlen zuständig ist. Kinder benötigen einen solchen körperlichen Kontakt, um sich emotional an ihre Erzieher zu binden.
Im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren sind Väter heute in der Öffentlichkeit zurückhaltender, körperliche Zärtlichkeiten mit ihrem Kind auszutauschen. Das Bewusstsein, dass diese Form der Berührung sexuelle Gefühle bei ihnen selbst stimulieren kann, bzw. von der Umgebung als solche interpretiert werden, hat zugenommen. Körperkontakt zwischen Frauen und Kindern hingegen wird als beruhigend betrachtet.

 

 


 

ERSTER AKT, LETZTE SZENE

 

Ein neunjähriges Mädchen sitzt auf dem Schoß ihres Vaters und lauscht gebannt, wie er ihr aus einem Märchenbuch vorliest. Die Beiden befinden sich in einer Glasvitrine auf der Spitaler Straße in Hamburg. Sie lassen sich nicht stören von den faszinierten Blicken der Passanten. Direkt vor ihnen hat sich unterdessen ein muskulöser Mann mit einem riesigen Holzkreuz postiert, der die Passanten von der Vitrine fernzuhalten und zu Gott zu bekehren versucht. Doch vergebens. Ein Jugendlicher gesellt sich plötzlich zu dem Mann mit dem Holzkreuz und beginnt ein Gespräch mit ihm:

 

JUNGE

Du sagst: Jesus will uns erlösen… Was mache ich denn, wenn ich einen anderen Glauben habe!?

 

MANN MIT HOLZKREUZ

Du glaubst vielleicht, aber du wirst nicht erlöst werden!

 

JUNGE

Ich glaube nicht wie du an Jesus, aber ich glaube an Mohammed.

 

MANN MIT HOLZKREUZ

Mohammed war ein Sünder, ein Mensch wie jeder andere auch.

 

JUNGE

Du sagst, alle Propheten des Islam sind Sünder!?

 

MANN MIT HOLZKREUZ

Vorbilder vielleicht, aber keine Propheten… Jesus ist derjeinige, der uns alle erlösen wird, der Sohn Gottes!

 

Ein anderer Mann, der das Gespräch mitverfolgt hat, mischt sich nun aufgebracht ein:

 

ANDERER MANN

Hör mal zu!

 

MANN MIT HOLZKREUZ

Ich diskutiere nicht!

 

ANDERER MANN

Du stehst hier jeden Tag mit deinem Holzkreuz und verbreitest Hass, nichts als Hass! Den einen Tag hetzt du gegen Schwule, den anderen gegen den Islam… Das ist der beste Weg, um junge Menschen vom Glauben abzuhalten, glaub mir mal, großartige Leistung! An so einen hasserfüllten Gott kann ich nicht glauben!

 

Der andere Mann wendet sich angewidert ab und zieht wieder von dannen. Der Mann mit Holzkreuz verstummt für einen Augenblick. Nach einer längeren Pause der Besinnung beginnt er plötzlich, den Blick nun schuldbewusst zu Boden gesenkt, ein Zwiegespräch mit Gott:

 

MANN MIT HOLZKREUZ

Gott, verzeih mir! Dieser Mann hat recht! Ich bin es, der sündigt! Nun weiß ich es: Ich darf den Menschen deinen heiligen Glauben nicht aufzwingen! Sie müssen selbst zu dir finden! Oh Allmächtiger, mein Schöpfer: ich bezeichne die Gesellschaft als krank, als sündig… ICH bin es, der gesündigt hat! Ich will das nicht mehr! Bitte, lieber Gott: schenke mir Sanftmut! Amen!

 

Er schließt die Augen. Als er sie einen Moment später wieder öffnet, sitzt plötzlich er in der Vitrine, das Holzkreuz: verschwunden. Er blickt auf seine leeren Hände. Dann blinzelt er durch die Glasscheibe nach draußen, das Sonnenlicht blendet ihn. Die Passanten in der Spitaler Straße blicken ihn wohlwollend an und lächeln ihm zu. Ein wenig abseits von ihnen steht der Vater nun mit seiner neunjährigen Tochter. Auch die Beiden lächeln ihn an. Der Vater nickt ihm noch ein letztes Mal kurz zu, nimmt seine Tochter bei der Hand und verschwindet. Er schließt seine Augen erneut. Eine kleine Träne der Erleichterung kullert seine Wange hinunter. Auch er lächelt nun. Die Rollläden der Vitrine schließen sich. Es wird dunkel.

 

ENDE

 


 

 

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